Page 278 - Zur Reinheit funktionaler Oberflächen
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Handschuhen aus Nitril oder Latex gearbeitet hat, kann beur-
                                                       teilen, welche Belastungen des Arbeitskomforts dies mit sich
                                                       bringt. In dem Zusammenhang ist es gut festzustellen, dass
                                                       sich die Betriebsräte dieses brisanten Themas mehr und mehr
                                                       angenommen haben. Das Thema liegt oftmals in der Hand der
                                                       Betriebsärzte. Damit ist es auf einen Bereich der Anomalität
                                                       und der Krankheit festgelegt. Ist das Thema betriebsintern
                                                       nicht bei den Betriebsärzten angesiedelt, so liegt es bei den
                                                       Sicherheits-Ingenieuren. Auch diese Gruppe ist jedoch nicht
                                                       den nicht-numerischen Kenngrößen Tragekomfort und Behag-
                                                       lichkeit verpflichtet. Diese Anomalitäts- oder Sicherheits-Fest-
                                                       legung behindert allgemein die Produktentwicklung in Richtung
                                                       Schutzkleidung mit einem höheren Arbeitskomfort. Genau
                                                       genommen gehört dieses Thema betrieblich in eine Arbeits-
                                                       gruppe Schutzkleidung, welche sich hauptsächlich aus Mitar-
                                                       beitern zusammensetzen sollte, die mit der Schutzkleidung
                                                       auch ganztägig arbeiten müssen.

           15.9 Das Konzept der „handschuhlosen“       Bei der Infineon AG wurde ab 1992 bis 2003 eine sog.
           Fertigung in Reinräumen der Industrie       „handschuhlose“ Fertigung betrieben. Prinzipiell ist es in der
                                                       Reinraumproduktion von Halbleiter-Wafern erforderlich, die
                                                       Waferoberfläche von den Abscheidungen der menschlichen
                                                       Haut frei zu halten. Dies geschieht im Allgemeinen durch das
                                                       Tragen von Handschuhen. Man kann aber auch einen anderen
                                                       Weg gehen, so dass der Operator z. B. beim Transportieren
                                                       den Wafer-Carrier durch einen Carriergriff in ausreichendem
                                                       Abstand vom Körper entfernt hält.

                                                       „Handschuhlose“ Fertigung bedeutet nicht, dass in dieser
                                                       Fertigung kein einziger Handschuh mehr eingesetzt würde.
                                                       Bei solchen Arbeiten, bei denen Carrier-Griffe nicht einsetzbar
                                                       sind, trug der Operator einen Polyäthylen-Handschuh, welcher
                                                       nur für die Dauer der betreffenden Verrichtung auf der Hand
                                                       belassen und danach abgestreift und entsorgt wurde. Dieser
                                                       hautfreundliche Polyäthylen-Handschuh liegt preislich etwa bei
                                                       30 % eines Nitril-Handschuhs. Möglicherweise ergibt sich aus
                                                       diesem mitarbeiterfreundlichen Arbeitsvorbild eine Grundlage
                                                       für einen branchenweiten Verzicht auf das Tragen von Schutz-
                                                       handschuhen im Rahmen vieler Arbeiten der Reintechnik.
                                                       Dies scheint insbesondere dort möglich, wo die Reinräume
                                                       mit einem SMIF-System ausgestattet sind. Außerdem redu-
                                                       ziert sich der Handschuh-Bedarf etwa geldwert-mäßig auf die
                                                       Hälfte, was auch von der Betriebskostenseite her interessant
                                                       ist.
                                                       Es wurde in der Vergangenheit oftmals bezweifelt, dass das
                                                       Infineon-Konzept eine echte Alternative zum Handschuh-
                                                       Konzept ist, ohne dass eine damit einhergehende Defekt-
                                                       dichte-Erhöhung den Vorteil wieder mindert. Eine Prüfung des
                                                       Fraunhofer Instituts Integrierte Schaltungen in Erlangen hat
                                                       die langjährigen Infineon- (Siemens-) Erfahrungen jedoch
                                                       bestätigt.



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