Page 74 - Zur Reinheit funktionaler Oberflächen
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finden sich an Kunststoff-Oberflächen vornehmlich dort, wo
Fehlstellen in deren Kristallgitter-Struktur existieren. Kunst-
stoffe, die einem Prozess thermischer Verformung ausgesetzt
waren, weisen sowohl kristalline als auch amorphe Zonen
aus. An den Übergangsstellen vom Kristallinen zum Amorphen
finden sich die Fehlstellen z. B. in Form von unvollendeten
makro-molekularen Ketten, welche die elektrische Oberflä-
chen-Homogenität beeinträchtigen, also kristalline Fehlstellen
bilden und daher eine erhöhte Bereitschaft zum Ladungstausch
haben. Die Flächenladungs-Dichte ist dabei in erster Näherung
proportional der Differenz der Elektronen-Austrittsarbeiten
zweier sich berührender Festkörper-Flächen. Die Elektronen-
Austrittsarbeit ist eine materialspezifische Größe. Sie ent-
spricht der Energie, welche nötig ist, um ein Elektron z. B. mit
Hilfe elektrischer Felder oder Photonen aus dem Kristall-Gitter,
in welches es eingegliedert ist, herauszulösen. Die Höhe einer
triboelektrischen Aufladung ergibt sich jedoch nicht allein aus
der Differenz der Flächenladungs-Dichten sondern auch aus
der Dichte und Verteilung der o. a. Oberflächen-Zustände pro
Flächeneinheit. Damit sind wir bei der bekannten Triboelekt-
rischen Reihe, welche eine Klassifizierung der verschiedenen
Kunststoffe nach Aufladungs-Neigung durch einen bestimmten
Reibpartner ermöglichen soll. Diese Reihe basiert theoretisch
auf der Elektronen-Austrittsarbeit der verschiedenen Kunst-
stoffe. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass Theorie und
Praxis hier weit auseinander liegen können. Dies ist so, weil
das Maß der “elektrischen Verunreinigung” von Oberflächen die
Oberflächen-Zustands-Dichte weitgehend modifiziert und somit
in der Praxis erhebliche Abweichungen von der Triboelektri-
schen Reihe bis hin zu Polaritätswechseln zu erwarten sind.
Bauser [1] hat für den Elektronen-Übergang zwischen zwei
Oberflächen (hier Metall-Kunststoff-Übergang) ein interessan-
VD tes Energieschema aufgestellt, welches in Abb. 1 abgebildet
VS A WK
ist. Dabei wird das Metall-Kunststoffsystem im Wesentlichen
durch vier Größen beschrieben:
WM
1. WK Elektronen-Austrittsarbeit Kunststoff
2. I Ionisationsenergie
3. A Elektronenaffinität
X Trap-Niveaus
4. WM Elektronen-Austrittsarbeit Metall
Fermi-Kante EF
I Die gestrichelten Doppellinien begrenzen die Energiezonen,
Material 1 Material 2 innerhalb derer ein Leitfähigkeitsband besteht. Diese Leitfä-
Metall Kunststoff higkeits-Bänder können je nach Material sehr unterschiedlich
ausgeprägt sein. Die entweder schwarz ausgefüllten oder
nicht gefüllten Kreise symbolisieren die verschiedenen Ober-
flächen-Zustände vor der Berührung (schwarz) und nach der
Berührung (weiß) mit dem anderen Material. Das Potential VS
wird von den besetzten Oberflächen-Zuständen erzeugt. Der
Abb. 1 Energieschema des Ladungsträger-Übergangs Anteil der Raumladung wird durch den Besetzungsgrad dieser
nach Bauser. Bedeutung der Indices: WK - Elektronen- Zustände charakterisiert und ist durch die Energiehöhe zwi-
Austrittsarbeit Kunststoff, WM - Elektronen-Austrittsarbeit schen Fermi-Niveau und Leitungsband gegeben. Die Bänder-
Metall, I - Ionisationsenergie, A - Elektronen-Affinität von
Kunststoff, EF - Fermi-Niveau. Durchbiegung um den Betrag VD entspricht der sich unterhalb
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