Page 19 - Zur Reinheit funktionaler Oberflächen
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Win Labuda
Win Labuda
1. Zur Geschichte des Reinen Arbeitens
Mit zunehmender Industrialisierung ergab sich in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts - wahrscheinlich zunächst im
Bereich der Kleinserien-Fertigung von Optikteilen - die Not-
wendigkeit dem Phänomen „technische Sauberkeit“ größere
Aufmerksamkeit zu widmen. Dies Insbesondere nach der
Erfindung achromatisch korrigierter Linsensysteme durch
Josef von Fraunhofer im Jahre 1830 und der Errichtung des
Mechanischen Ateliers von Carl Friedrich Zeiss im Jahre 1846.
So waren es wohl hochwertige Fernrohre und Mikroskope,
deren Fertigung erhöhte Anforderungen an die partikuläre und
Oberflächen-Reinheit der Glas- und Metalloberflächen mit sich
brachte. Zeitgleich war in der Medizin die Erkenntnis gewach-
sen, dass mangelnde Reinheit ungeahnte Folgen für Leben und
Gesundheit von Patienten haben konnte. Man hatte erkannt,
dass Ärzte mit ungereinigten Händen Keime von Leichen oder
kranken Menschen auf Gesunde übertrugen, welche dann
durch Ansteckung oder Sepsis zu Tode kamen. Ein gewisses
Bewusstsein für die möglichen Auswirkungen unsichtbarer
Teilchen einerseits und Mikroben andererseits trat allmählich
in das Bewusstsein der Menschen. Mit etwas mehr Studium
der römisch-lateinischen Literatur hätte man es aber auch
früher wissen können: Der römische Gelehrte Marcus Terentius
Varro (116-27 v. Chr.) schreibt bereits in seinem Buch „Rerum
Rusticarum, lib.1, cap 12 zum Thema Infektions-Krankheiten
über die vermuteten Bakterien und Viren: „Tiere, die so klein
sind, dass die Augen sie nicht sehen können und die durch
die Luft in den Körper gelangen - durch Mund und Nase - und
verschiedene Krankheiten verursachen.“
Schon im alten China existierte eine ganz besondere Art von
Contamination Control [1]. Um ihre Oberflächen beim Malen
staubfrei zu halten begaben sich die chinesischen Lackier-
künstler in ihren Dschunken aufs Meer, wo die Luft nahezu
staubfrei ist. Einige tausend Jahre später war es dann die
Medizin, in der man die Notwendigkeit für spezifische Rein-
heitsbedingungen erkannte. Im Sankt-Elisabeth-Krankenhaus
in Kiel wurden separate Operations-Räume für septische und
aseptische Operationen eingerichtet. Wenn man so will, war
das der erste Reinraum in der Medizin.
Im aufkeimenden Sektor der Feinwerktechnik entstanden in
den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts außerhalb der optischen
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