Page 21 - Zur Reinheit funktionaler Oberflächen
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für gleichermaßen schwache Unterbegriffe. Diese finden wir
                                                       beispielsweise in den Begriffen Reinraum-Tauglichkeit, Rein-
                                                       raum-Handschuh oder Reinraum-Verpackung. Immer wieder
                                                       wird von Anwendern die Frage gestellt, ob man Reinraum-
                                                       Tücher lediglich für die Raumpflege benutzen darf oder „auch
                                                       sonst“. Infolge solcher semantischen Unzulänglichkeiten
                                                       definieren denn auch unzählige Verbrauchsmaterial-Anbieter
                                                       den Begriff Reinraum-Tuch, Handschuh oder Papier ganz nach
                                                       ihrem Geschmack. Schlimmer noch: Sie empfehlen freimütig
                                                       in welchen ISO-Luft-Reinheitsklassen man das von ihnen ver-
                                                       triebene oder gar zertifizierte Material bedenkenlos einsetzen
                                                       könne. All dies trägt nur zur Verwirrung des Anwenders bei der
                                                       von den vielfältigen Begriffs-Unsicherheiten überfordert ist.

                                                       Wenn dem Begriff „Reinraumtechnik“ also die präzise Seman-
                                                       tik fehlt, mag es an der Zeit sein, über einen zutreffenderen
                                                       Oberbegriff nachzudenken. Zur Diskussion gestellt wird von
                                                       uns „Reintechnik“ als Oberbegriff, abgeleitet vom englischen
                                                       Begriff „clean technology“, der z. Zt. in der Industrie gerade
                                                       an Durchsetzung gewinnt. Dieser Begriff ließe sich durch eine
                                                       Anzahl sinnvoller Unterbegriffe diversifizieren. Gelegentlich
                                                       liest man neuerdings auch den Begriff „Reinheits-Technik“,
                                                       dem es jedoch an phonetischer Abgrenzung zum Begriff „
                                                       Heiztechnik“ mangelt und der außerdem eine kleinkarierte
                                                       Aura hat.

                                                       Spezifikations-gemäß unterliegt in einem Reinraum lediglich
                                                       die Umgebungsluft einer kontinuierlichen Reinheits-Überwa-
                                                       chung. Dieser war früher durch den US-Federal Standard 209
                                                       ist seit 2001 gemäß ISO 14644-1 [2] genormt. Gliederungs-
                                                       Elemente der Norm sind neun Luftreinheits-Klassen und sechs
                                                       Partikel-Durchmesser. Die kontinuierliche Erhaltung einer
                                                       bestimmten Luftreinheit in Reinräumen erfolgt jedoch selten
                                                       für sich sondern zumeist mit dem Ziel der Gewährleistung
                                                       einer Prozess-optimierten Oberflächen-Reinheit. Bei der Pro-
                                                       duktion von Halbleiter-Chips ist es beispielsweise die Wafer-
                                                       Oberfläche, welche rein gehalten werden muss, um die Defekt-
                                                       dichte darauf möglichst gering zu halten. Ausbeute-relevanter
                                                       Parameter ist also letzten Endes die Oberflächen-Reinheit.

                                                       Oberflächen-Reinheit lässt sich nicht gleichermaßen leicht
                                                       herbeiführen wie Luftreinheit, noch lässt sie sich problemlos
                                                       messen. Während die Luft mit den in ihr vorhandenen Parti-
                                                       keln in einem bestimmten Raumvolumen in weiten Grenzen
                                                       homogen verteilt ist, schwankt die partikuläre Reinheit der
                                                       Raumoberflächen in domänenartiger Verteilung sehr deutlich.
                                                       Sorgfältig geschulte Mitarbeiter der Reinraum-Service-Dienst-
                                                       leister müssen also turnusgemäß durch manuell durchgeführte
                                                       Reinigungs-Prozeduren die Prozess-verträgliche Oberflächen-
                                                       Reinheit im Reinraum wieder herstellen [3]. Menschen die in
           Abb. 2 Strömungsprinzipien,oben „turbulen-  solchen Räumen arbeiten, tragen zudem eine Spezial-Beklei-
           ter Reinraum“, unten „Laminarströmungs-     dung damit die Luft- und Oberflächen-Verunreinigung der
           Reinraum“ (Schemata: Rudolf Simon - Wiki-
           media Commons)                              Arbeits-Umgebung durch den Menschen in Prozess-kompatib-

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