Page 26 - Zur Reinheit funktionaler Oberflächen
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Der Siemens-Reinraum in Regensburg war ein über Luftschleu-
                                                       sen zugänglicher Reinraum des „open ballroom“-Typs. Siemens
                                                       hatte mit dem Projekt ein eindeutiges Zeichen gesetzt. Man
                                                       war nicht gewillt, die europäischen Märkte den amerikanischen
                                                       und (damals noch) den japanischen Mitbewerbern zu überlas-
                                                       sen. Für den Fertigungs-Prozess hatte der Siemens-Konzern
                                                       eine Lizenz des japanischen Unternehmens Toshiba erworben.
                                                       Dennoch: Ein Jahr lang gelang es den Regensburger Technolo-
                                                       gen nicht, eine ausreichend hohe Prozessausbeute zu errei-
                                                       chen. Die Fehlerquelle war schwer zu finden und zudem nicht
                                                       an einem einzelnen Prozessschritt auszumachen. Erst nach 12
                                                       Monate langer, intensiver Suche war der Fehler gefunden: Eine
                                                       Prozess-Chemikalie mit einem geringfügig zu hohen Reinheits-
                                                       grad stellte sich als die Ursache heraus.

                                                       Die Siemens AG machte in Regensburg im ersten Jahr einen
                                                       Verlust von knapp 1 Million DM pro Kalendertag. Damals wurde
                                                       uns allen klar, dass mit den Fertigungs-Systemen an der vor-
                                                       dersten Technologiefront bisher nicht vorstellbare Risiken ver-
                                                       bunden waren. Aus einem kleinsten, unbeachtet gebliebenen
                                                       Detail, konnte auch für einen Großkonzern ein kommerzielles
                                                       Desaster in Milliardenhöhe werden. Der Regensburger Rein-
                                                       raum steht heute noch, wenngleich mehrfach erweitert. Heute
                                                       werden dort Chip-Gehäuse entwickelt so wie Chip-Karten und
                                                       Sensor-Chips gefertigt.

                                                       Im vergangenen halben Jahrhundert ist die Kapazität der
                                                       Speicher-Chips von 64 Kilobyte auf einige hundert Gigabyte
                                                       gewachsen. Dies ist eine Steigerung um das 16-Millionen-
                                                       fache, und damit wohl das größte Wachstum, das irgendeine
                                                       Reinheits-abhängige Technologie jemals aufzuweisen hatte.
                                                       Die Reinraumtechnik brauchte sich, nachdem Mitte der 80er
                                                       Jahre die Reinraum-Klasse 10 nach Federal-Standard üblich
                                                       geworden war, im Hinblick auf eine Verbesserung der Luftrein-
                                                       heit nicht im gleichen Maße weiter zu entwickeln wie z. B. die
                                                       Lithografie oder andere Struktur-relevante Fertigungs-Pro-
                                                       zesse. Sie ist vielmehr stets den Anforderungen der Ferti-
                                                       gungs-Ingenieure gerecht geworden, und heute werden rein-
                                                       technisch gesehen Fertigungs-Umfelder unterstützt, in denen
                                                       256 G-byte-Chips gefertigt werden. Das spricht für sich. Der
                                                       Reinraum hat sich als technologische Fertigungs-Architektur
                                                       bei vielen Industrien im höchsten Maße bewährt. In Deutsch-
                                                       land haben in den Aufbaujahren der Reinraumtechnik für die
                                                       Großprojekte vor allem solche Reinraumbauer wie Meissner &
                                                       Wurst und Zander die Szene bestimmt.

                                                       Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass Reinraum
                                                       zunächst einmal ganz generell gesehen ein Verunreinigungs-
                                                       reduziertes Raumgebilde ist. Das muss nicht unbedingt eine
                                                       architektonische Struktur im Sinne eines Gebäudes sein.
                                                       Vielmehr kann man es auch als reine Prozess-Kammer inner-
                                                       halb einer Maschine oder eines Apparates verstehen. Wenn
                                                       wir diesen Aspekt beispielsweise im Hinblick auf den tech-

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