Page 31 - Zur Reinheit funktionaler Oberflächen
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Rechen-Maschine zum elektronischen Taschenrechner und vom
ersten 16-Kilobyte-PC zur 200 GB-SD-Karte stattgefunden
haben, ohne dass es dadurch zu einer merklichen Veränderung
unserer Wirtschafts-Struktur oder gar zu sozialen Spannungen
gekommen wäre. Dafür fehlt Industrie 4.0 außerdem die vor-
ausgegangene erfinderische Großtat, die in der Vergangenheit
mit der Einführung der Dampfmaschine Auslöser der bekann-
ten sozialen Verwerfungen war.
Es stehen der Einführung von Mechanisierungs- und Ver-
netzungs-Systemen höherer Dichte und Komplexität gleich
mehrere Argumente entgegen:
• die unübersichtliche Kostenlage
• gravierende Sicherheitsbedenken
• der Mangel an geeigneten Schnittstellen
• ein vorhersehbarer Spezialkräfte-Mangel
• die große Anzahl von Klein- und Mittelstands-
Betrieben (550.000)
• die Bedenken der Gewerkschaften
• die Sinnfrage: Was soll das alles?
Daher ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich Indust-
rie 4.0 im Sinne einer Sublimierung als übergangslose Folge
von Industrie 3.0 (IT, Internet, Vernetzung) und nicht als
„Revolution“ zeigt. Der ganze Industrie 4.0-Hype mit den eher
akademischen Grenzziehungen zwischen den vier Zeitabschnit-
ten industrieller Entwicklung erinnert an eine journalistisch
wiederbelebte Kondratjew-Theorie aus dem Jahr 1932. Die
Forderungen der Gewerkschaften nach einem „gerechten“
Anteil an der erwarteten Wertschöpfungs-Steigerung sind
sicher verständlich und die angenommene Schnittstellen-
Problematik mit den bereits in Betrieb befindlichen Automati-
sierungs-Systemen wird sich nicht innerhalb von kurzer Zeit
beheben lassen. Vor Allem ist es jedoch die große Zahl von
550.000 deutschen zumeist Klein- und Mittelstands-Unterneh-
men des produzierenden Gewerbes, die sich in einem Maße
retardierend auf den Fortschritt auswirken muss, so dass mit
rapiden, geschweige denn mit revolutionären Veränderungen
unserer Wirtschaftsstruktur durch den angedachten Vernet-
zungs- und Automatisierungs-Schub kaum zu rechnen ist. Es
ist zudem eine neue Erfahrung, dass ein ähnlicher Begriff wie
Industrie 4.0 in den USA nicht zu existieren scheint, obgleich
solche Entwicklungen normalerweise dort ihren Ursprung
haben. Und am Ende wird so Mancher sicher auch nachdenk-
lich die Frage stellen: Was soll uns das nützen? Wird das Heer
von Arbeitslosen das eine solche Industrie „automatisch“ pro-
duzieren könnte, überhaupt in der Lage sein die Kaufkraft zu
generieren, die es bräuchte um solch einen Paradigmenwech-
sel zu finanzieren?
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