Page 34 - Zur Reinheit funktionaler Oberflächen
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Das Wort Reinheit ist in unserem Sprachgebrauch mehrdeu-
tig. Im Kindesalter wird mit ihm die lästige Körperhygiene
verbunden, in der Jugend die sexuelle Abstinenz des jungen
Mädchens und für die Gläubigen verschiedener Religionen wird
geistige Reinheit durch ein rituelles Bad oder durch Teilwa-
schungen bewirkt. Der Verbraucher kennt den Begriff aus
der Waschmittelwerbung der Chemiekonzerne. Gibt man das
Wort Reinheit in die Google-Suchmaschine des Internet ein,
so beziehen sich etwa die Hälfte der Antworten auf geistige
und die andere Hälfte auf technische Reinheitsphänomene. Im
technischen Zeitalter wurde man Ende des 19. Jahrhunderts
mit der Notwendigkeit von Reinheit zunächst im Rahmen der
Hygiene konfrontiert. Man erkannte, dass bestimmte Verunrei-
nigungen lebensbedrohliche Krankheiten und Seuchen hervor-
riefen. Bedeutendes Geschehen in diesem Zusammenhang war
Abb. 2 Bakterieller Verunreiniger (Streptococcus pyoge- die Entdeckung von biologischen Verunreinigungen (Abb. 2)
nes), Ursache des Kindbettfiebers als Ursache des „Kindbettfiebers“ durch den ungarischen
Gynäkologen Ignaz Phillip Semmelweis im Jahre 1847.
Er ist gewissermaßen der Vater der „Contamination Control“.
Durch von ihm entwickelte Maßnahmen der Handreinigung der
behandelnden Ärzte wurde die Mütter-Sterblichkeit in seinem
Krankenhaus auf 2 % gesenkt, während zuvor bis zu 12 % der
gebärenden Frauen daran starben.
Mit zunehmender Industrialisierung war es dann u. a. das
Problem der chemischen Reinheit, mit der Wissenschaft und
Technik mehr und mehr konfrontiert wurden. Hier ist Reinheit
eine Bezeichnung für die Beschaffenheit chemischer Substan-
zen bezüglich des Fremdstoff-Gehaltes, welche deren Einsatz-
Möglichkeiten stark beeinflusst. Man unterscheidet in der
Chemie nach verschiedenen Reinheitsgraden, wie z. B. roh,
technisch, rein, reinst, chemisch rein und analysenrein.
2.2 Reine Fertigungsverfahren - Neue In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Oberflächen-
Verunreiniger Reinheit zur wesentlichen Voraussetzung für einige moderne
Fertigungsverfahren. Zu diesen Verfahren gehören beispiels-
weise die Herstellung von Impfstoffen, künstlichen Hüft-
gelenken, vergüteten optischen Linsen, Laserspiegeln und
Objektiven, integrierter Halbleiterschaltungen, Tonträgern,
Speicherplatten, oder die Bereitstellung hochreiner Behälter
für chemische Stoffe. Aber auch im Instandhaltungs-Bereich
von Anlagen und Geräten ist die Oberflächen-Reinheit oftmals
eine wesentliche System-Komponente. Dafür sind die Rein-
haltung lasertechnischer Geräte und der Ätzkammern in den
Plasma-Ätzmaschinen gute Beispiele. Die angeführten Pro-
dukte lassen sich bei den heute bestehenden Anforderungen
nur in einer Umgebung fertigen, welche sowohl durch eine
hohe Oberflächen- als auch eine hohe Luftreinheit gekenn-
zeichnet ist. Auf der Grundlage dieser erhöhten Reinheits-
Anforderungen entstand zum Ende des 20. Jahrhunderts die
Reinraumtechnik.
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