Win Labudas Mauerbilder - page 1

wissenschaftliche Reihe
Win Labudas Mauerbilder
Ein Aufsatz von Nadja Labuda (2001)
Als eine Tochter von Win Labuda konnte ich ihn von Kindesbeinen an in
den Städten dieser Welt auf seinen fotografischen Streifzügen begleiten.
In diese frühen Jahre lässt sich meine Faszination für die Bildende Kunst
auf der einen und das fotografische Werk meines Vaters auf der anderen
Seite zurückdatieren. Über die Jahre hatte ich das Glück, mit ihm in
einem ständigen Austausch über Kunst und bildnerisches Denken zu
stehen; er prägte mein Sehen und er weckte meine Leidenschaft für die
Moderne. Im Laufe meines Studiums lernte ich, die Leidenschaft etwas
zurückzustellen zugunsten einer Betrachtung und Beurteilung von Kunst
nach eher wissenschaftlichen Maßstäben. Als Kunsthistorikerin habe ich
mich insbesondere der Kunst des 20. Jahrhunderts und so auch der Foto-
grafie dieses Zeitabschnitts gewidmet. Dieser Text stammt also aus der
Feder einer Beobachterin, in deren Herz das gleiche Blut fließt wie in
dem des Fotografen. Nüchterne Beobachtung und Beurteilung paaren
sich mit der tiefen Zuneigung, welche ich, eine Tochter, für das Werk
meines Vaters empfinde.
1
Einleitung
In dem vorliegenden Aufsatz zumfotografischenWerk meines Vaters steht
die Mauer im Mittelpunkt. Unendlich viele Facetten ihrer Erscheinungs-
form und Möglichkeiten der Betrachtung werden hier gezeigt. Mal
erscheint sie nackt und beinahe banal; erst bei näherem Hinsehen zeigt
dann der Bildausschnitt malerische Dimensionen in der Nähe der
großen Kunstwerke des vergangenen Jahrhunderts. Manchmal erscheint
sie auch als Trägerin ungekannter Zeichen des Regens, der Zeit, des
Verfalls und der Wiederherstellung. So ist die Mauer Zeichenbrett der
Menschen und verbotener Notizblock der großen und kleinen Gefühle.
Die Entwicklung neuer Werkstoffe hat es mit sich gebracht, dass nicht
mehr alle Wände auch wirklich Mauern sind. Nur die „alten Mauern“
bestehen noch aus dem mühevoll behauenem Granit oder aus den uns
Europäern vertrauten roten Backsteinen. In diesem Sinne steht Mauer
bei Labuda auch für Wände, Tore, Türen und überhaupt für alles, was im
Außenraum die Möglichkeit bietet, eine Nachricht darauf anzubringen.
DieWand, welche uns täglich umgibt, an der wir jeden Morgen und jeden
Abend vorbeigehen, die uns so vertraut ist, dass wir sie nicht mehr wahr-
nehmen, verwandelt sich durch das Auge des Künstlers in ein lebendiges
Gegenüber, in einen Spiegel unseres Lebens und somit wird sie selbst
zum Zeichen von Leben und Zeit.
Die gewählten fotografischen Ausschnitte sind eng verknüpft mit der
1 -
Mauermond am Fluß,
F 019
2 -
geheilteWand,
F 075
3 -
Mauerwelle,
F 021
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