Win Labudas Mauerbilder - page 8

Augenmerk auf die Vergänglichkeit und Alterung der Materie gelenkt. Der
schleichende Zerfall der Wand, ihre absehbare Auflösung ist ganz
offenbar nicht von Menschenhand herbeigeführt, sondern er ist Zeichen
von Zeit, die hier ihre Spuren hinterlässt. Dass der Mensch in einen
solchen Prozess eingreift und eine Verhinderung des totalen Zerfalls
bewerkstelligen möchte, wird in den Bildern
F70 (6)
und
F75 (2)
offenbar.
F75
(
2
) erscheint uns als Pendant zu
F19 (1)
. Hier sehen wir eine graue,
strukturierte Fläche auf der ein heller, abgegrenzter Streifen von links
oben nach rechts unten verläuft. Man kann erkennen, dass ein einstmals
vorhandener Riss mit heller Verputzmasse ausgefüllt wurde, als wäre die
Verletzung bei
F19
(
1
) behoben worden, um die Geschlossenheit der
Oberfläche wiederherzustellen. Das rechte Drittel des Bildes wird durch
eine senkrechte Linie abgeteilt, die man entweder als Mauerkante oder
aber auch als nachträglich angebrachten Verputz deuten kann. Weiteres
geometrisches Element ist ein kleines Quadrat, das sich an der Schnitt-
stelle zwischen senkrechter Linie und diagonal verlaufendem Band posi-
tioniert. Die Ausschnitthaftigkeit des Bildes wird durch ein weiteres,
angeschnittenes Quadrat am oberen Bildrand betont, welches sich ober-
halb des kleinen Quadrats befindet. Bei diesem Bild sehen wir im Gegen-
satz zu
F19
(
1
) einen linearen Aufbau der Bildelemente. Die organischen
Formen, welche beim Zerfall von Materie entstehen, werden hier durch
den Menschen zurückgeführt in die technisch-geometrische Form.
Ein ähnlicher Gegensatz zeigt sich bei einem Vergleich zwischen
F21 (3)
und
F100 (5)
. Bei
F21 (3)
stehen unregelmäßig geformte Flächen grauer,
weißer und schwarzer Tonwerte nebeneinander. Sie gehen ein maleri-
sches Spiel miteinander ein, und man wird an Bilder erinnert, welche in
der Zeit des Tachismus entstanden, oder auch an die Werke von Mark
Rothko. Das Abbröckeln von Mauerfläche und Farbschicht gestaltet sich
durch die Konzentration auf diesen Abschnitt der Fläche zu einer
gestisch und expressiv anmutenden Form. Demgegenüber steht
F100 (5)
bei dem die weißen, grauen und schwarzen Flächen klar begrenzt und
geometrisch definiert sind.
Die Strukturunterschiede der Maueroberfläche werden durch die Schat-
tierungen der einzelnen Elemente betont und es bildet sich ein klares
Mit- und Gegeneinander von Fläche, Grauwert und Form. Wie oftmals im
Werk meines Vaters erinnert auch dieser Ausschnitt an bestimmte
Stilentwicklungen in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. So mag
er Werke des Suprematismus vor dem geistigen Auge gehabt haben wie
Schwarzes Quadrat
von Kasimir Malevich oder aber geometrisch abge-
grenzte Flächen, die wir immer wieder in den Werken der Farbfeldma-
lerei bzw. des Colour-Field-Painting finden können.
Seine Auseinandersetzung mit der Kunst des 20. Jahrhunderts lässt sich
8
22 -
Ebenen der Zeit,
F 117
23 -
NON, Geschichte Frankreichs,
F 097
24 -
Olivier, Te Quiero,
F 118
1,2,3,4,5,6,7 9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,...21
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