Win Labudas Mauerbilder - page 2

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persönlichen und künstlerischen Geschichte meines Vaters, mit seinen
Reisen und den Orten seines Vertrauens undWohlbefindens. Sie sind sein
ureigenster Focus. Das Vertraute und Alltägliche der gewählten
Ausschnitte mag dazu verleiten sie zu überfliegen, wie ein altbekanntes
Gesicht, von dem man glaubt, man kenne es bereits. Um die Sensibilität
und Offenheit zu schärfen, das Bekannte mit frischem Entdeckergeist
wahrzunehmen, seien der Besprechung einzelner Werke einige Überle-
gungen vorangestellt. Dabei sollen zunächst die beiden maßgeblichen
Teile des Gezeigten näher betrachtet werden: Zum einen das Phänomen
Mauer und zum anderen die Veränderungen ihrer Erscheinungsform
durch den Menschen und durch die Zeit.
Die Mauer
Archaisch gesehen ist die Mauer wohl auf den Wunsch des Menschen
zurückzuführen, als Einzelner oder als Gruppe einen deutlich abge-
grenzten Lebensraum zu errichten. Die freie Wahl von günstigen Orten
an denen Lebens- und Überlebensbedingungen vorteilhaft schienen,
mag diesen Prozess beeinflusst haben. Irgendwann jedoch entband die
zunehmend gewonnene Fertigkeit des Hausbaus den Menschen aus der
Abhängigkeit von Höhlen und Bäumen und bescherte ihm im Rahmen
der somit erweiterten Versorgungs- und Verteidigungslage die Möglich-
keit zu einem wesentlichen Entwicklungsschritt. Im Zuge der Entwick-
lung der Zivilisation gewann die Mauer mit dem Schutz- auch an
Symbolcharakter. In der Architektur des römischen Imperiums etwa
wurde sie dann zu einem Zeichen für Macht und Unbesiegbarkeit. Über-
mäßig groß angelegt und somit scheinbar unüberwindlich, war ihre
ursprüngliche Bedeutung, nämlich Begrenzung und Abschirmung von
Feinden, auf diese Weise neu definiert worden. Der Ansatz fand seine
imposanteste Ausprägung in der Erbauung der Chinesischen Mauer.
Noch heute ist sie das größte Festungsbauwerk der Erde, ein Monument,
welches selbst aus der Ferne des Weltalls sichtbar ist. Erbaut um 210 v.
Chr., hat sie eine Länge von 2450 km und wurde damals zur Abwehr
einfallender Nomaden errichtet. Anders geartete, symbolhafte Bedeu-
tungen wurden mit dem Bild der Mauer in mittelalterlichen Mariendar-
stellungen verknüpft. Der „hortus conclusus“, also der Garten, in dem
Maria in Verkündigungsszenen gezeigt wurde, ist in der bildlichen
Darstellung oftmals von einer Mauer umgeben. Hier, in der christlichen
Religion, steht die Mauer auch für Jungfräulichkeit und Unantastbarkeit
der Mutter Gottes. Die trotzige, hoheitsvolle Gebärde, mit der die Mauer
4 -
Mauerflächen-
Fragment,
F 083
5 -
Wandflächen,
F 100
6 -
Mauerheilung,
F 070
1 3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,...21
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