irgendein Durchgang; sobald wir aber wissen, wo sie sich befindet,
stellen sich bei uns vielgestaltige Assoziationen ein. Eine andere Stim-
mung vermittelt
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. Hier wird aus Erwartung Beklemmung, wenn
wir die mit einem Riegelschloss versperrte Tür, versehen mit einer weiß
aufgesprühten Ziffernfolge, betrachten. Man mag an die Transporte des
Holocaust denken oder an den sowjetischen Gulag. Win Labuda regt mit
seinen Fotografien von Toren und Türen unsere Vorstellungskraft, unsere
inneren Bildwelten an. Die Bilder gewinnen ihre Aussagekraft durch die
Welt, die wir dahinter vermuten. Es ist unsere eigene Geschichte, die
ihnen Farbigkeit oder Dunkelheit verleiht, die verborgene Welt verhei-
ßungsvoll oder beängstigend macht.
Gesicht der Mauer im Fokus der Fotografen
Die Mauerfotografie nimmt im Kanon der fotografischen Schaffensrich-
tungen, wie etwa Landschaft, Akt oder Porträt zwar einen kleinen, aber
künstlerisch bedeutsamen Platz ein. Was reizt einen Fotografen am
Thema Mauern und Wände so sehr, dass er dafür nach Japan, Indien
oder Ägypten reist? Gedanken, die schon im Kapitel über die Mauer und
das Graffiti angeklungen sind, sollen hier ergänzt und anhand von ausge-
wählten Beispielen belegt werden, welche uns bekannte Mauerfoto-
grafen im Rahmen ihrer Bücher geliefert haben.
Die Mauer, wie auch die Wand ist ein vom Menschen geschaffenes
Flächenobjekt aus Stein, Beton, Putz und Farbe. Im Moment ihrer Fertig-
stellung ist sie makellos, eben und unbefleckt. Das ist der Beginn ihrer
Metamorphose. Von nun an ist sie den Einwirkungen der Zeit und des
Menschen ausgesetzt, sie gewinnt ihre eigene Patina, ihre Struktur, ihr
eigenes Antlitz. Jeder Fotograf ist auf der Suche nach Wahrheit und vor
diesem Hintergrund nach einer Aussage zu der ihn umgebenden Welt.
Der Eine findet sie durch die Darstellung der weiten Landschaft; andere
widmen sich aus gleichem Grunde dem menschlichen Körper, den
Pflanzen und Blumen oder etwa der Unendlichkeit des Sternenhimmels.
Der Mauerfotograf findet seine Aussage durch die Dokumentation oft
absichtslos entstandener Farbflächen, Bilder und Zeichen in einem von
ihm bestimmten bildnerischen Zusammenhang. Sein Schaffensakt ist
der einer Nobilitierung unbeachteter Bildflächen zum bleibendenWerk.
Am Anfang des künstlerischen Prozesses der Mauerfotografie in schwarz-
weiß steht das Auge des Fotografen, gleich der Linse seiner Kamera,
welche zumeist nur einen kleinen, seinem Umfeld enthobenen
Ausschnitt abbildet. Allein durch die Auswahl eines bestimmten
Abschnittes erfährt die gewählte Fläche ihre Wandlung in ein neues
strukturelles und formales Sein. An zweiter Stelle dieses Abstrahierungs-
prozesses steht die Reduktion der echten Erscheinungsfarbe auf die
Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß. Endlich auf das Papier
gebracht, wird die abgebildete Fläche von der ihr zugrunde liegenden
Dinglichkeit befreit und so auf die ihr eigenen Strukturen und Formen
reduziert.
Brassai (Gyula Halasz)
Der Vater aller Mauerfotografie ist der ungarische Fotograf Gyula Halasz,
genannt Brassai. Er war es, der in den 30er Jahren des vergangenen Jahr-
hunderts die Schönheit der Pariser Mauern entdeckt, in poetischen
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