Win Labudas Mauerbilder - page 14

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Mauerkerbung Männ-
chen,
F 030
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Hommage an Paul
Klee II,
F 105
möchte seine Melancholie teilen, um sich von ihrer Last zu befreien, und
wählt die Mauer als schwarzes Brett seiner Empfindungen. Auf
F118 (24)
sehen wir auf einem weißen Fensterladen über einer schwarzen Mauer-
fläche die Liebeserklärung
Olivier te quiero
(Olivier, ich liebe Dich) in
kleinen schwarzen Buchstaben säuberlich hingeschrieben. Weiß Olivier,
dass er geliebt wird? Die Schreiberin bleibt, wie auch im vorhergehenden
Bild, anonym. Ist das geschriebene Wort nicht immer auch ein Einge-
ständnis an sich selbst; erst wenn es geschrieben wurde, ist es auch wahr
geworden, für einen selbst und für dieWelt?
„Paris“ erscheint als ein winzig klein geschriebenes Wort inmitten einer
Mauerfläche, die sich von links nach rechts von weiß über hellgrau nach
schwarz schattiert und die Form der Landkarte Westeuropas zeigt. Das
Wort Paris steht genau dort, wo eigentlich Madrid stehen müsste.
Offenbar war es ein Schreiber, der in geografischer Verwirrung nicht
gleich den rechten kartografischen Ort finden konnte, seine Inschrift zu
verewigen. Die persönlichen Botschaften gehen uns auf eine besondere
Weise nahe; sie lassen so viele Fragen über individuelles Schicksal unbe-
antwortet: Wie gerne wüsste man, ob Olivier auch liebt, ob sich bei
F 59
(17)
Traurigkeit in Glück wandeln konnte oder ob Paris irgendwo seinen
Glanz dennoch behielt. Oder liegt unsere Faszination vielleicht gerade im
Wissen darufm, dass uns eine Antwort für immer versagt bleiben muss?
Gravuren
Die Gravur in den Stein berührt uns tiefer als die bemalte Wand. Ist sie
doch nicht Zeichen flüchtigen Seins, sondern Botschaft mit dem
Anspruch auf ewiges Leben. Die Gravur ist die archaischste Form aller
Künste. Der Graveur dringt ein, tief in die Oberfläche des Steins, er
zerstört die Materie, mit der Kraft seiner Hände ein Bild zu schaffen oder
ein Wort; es scheint mit tieferer Leidenschaft versehen, unter größerer
Mühsal geschaffen. Der Widerstand des Steins, des Holzes steigert den
Willen, allen stofflichen Barrieren zum Trotz Bleibendes zu hinterlassen;
und allein der Graveur weiß sich seines Lohnes sicher: dass kein Regen
seine Botschaft je löschen kann. Im vorliegenden fotografischen Band
finden wir viele Blätter, welche die Gravur in die Rinde des Baums oder in
den Stein zum Inhalt haben, und auch hier reicht die Bandbreite von
abstrakter Zeichnung bis hin zur Liebeserklärung.
Beginnt man bei
F50
(Merde - Scheiße,
30
) dann wird der Unterschied
zwischen geschriebenem und graviertem Wort deutlich. Um wie viel
intensiver erscheint doch die Kerbung in der Wand, die scharfe Kante, die
tiefe Gravur und die spitze Form der Buchstaben als in der gemalten
Schrift. Aber auch das Hochlebenlassen der Anarchie bei
F142
(
Vive l
anarchie -
Es lebe die Anarchie,
26
) scheint, mühsam in den Stein
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17,18,19,20,21
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